Zuversichtliche Gesichter 2020

Positive Nebenwirkungen in der Krise bringen Menschen im Alltag immer enger zusammen

Positive Nebenwirkungen in der Krise bringen Menschen im Alltag immer enger zusammen
Positive Nebenwirkungen in der Krise bringen Menschen im Alltag immer enger zusammen, Collage: maxpress

Schwerin • Im hauspost-Podcast kämpft Gastwirtin Sybille Dietz mit den Tränen – nicht, weil sie Angst um ihre Gastwirtschaft hat, sondern weil ihre Mitarbeiterinnen trotz der schwierigen Situation zu ihr stehen und bleiben. Das schweißt zusammen. So geht es vielen. Einige kommen hier zu Wort, andere zeigen an dieser Stelle Gesicht und viele begegnen sich im Alltag.

Zuversicht ist zu spüren. So wie Sybille Dietz diese Herausforderung annimmt, machen es viele. Sebastian Ehlers lobt den Einsatz und das Engagement: „Unzählige Unternehmen, Vereine und Einrichtungen in unserer Stadt sind kreativ geworden und rücken enger zusammen,“ so der Stadtpräsident. Als den Teamsportvereinen in Schwerin durch Spielabsagen und wegbrechende Eintrittsgelder das Aus droht, gründen sie gemeinsam die Initiative Sportstadt Schwerin. „Nichts ist selbstverständlich in dieser Zeit, aber Aufgeben kommt nicht in Frage. Deshalb kämpfen wir“, sagt Patrick Bischoff, Geschäftsführer der Mecklenburger Stiere. Er kreiert mit seinen Mitstreitern wieder die erste Veranstaltung der Stadt auf dem Schlachtermarkt. Das bringt Menschen zueinander und macht Mut. Andere folgten.

Baudezernent Bernd Nottebaum steht im September vor der Frage, ob das Immobilienforum der Stadt abgesagt werden muss. Er plädiert mit seinem Team für eine Alternative und radelt mit den Gästen abstandspflichtig zu den Bauprojekten durch Schwerin, statt mit ihnen im Bus zu sitzen.

Eine 79-jährige Dame aus Rugensee hält kurz inne, als sie die Frage hört, ob Corona auch etwas Positives mit sich bringt. „Diese Zeit macht uns bewusst, wie gut es uns eigentlich geht. Das höre ich auch von vielen Nachbarn.“ Wenn die Einsamkeit manchmal zuhause erdrückend wird, denkt sie an den Winter 1945 und wie sie damals als Vierjährige mit ihren Eltern und Brüdern über das Eis fliehen musste. Ständiger Hunger, klirrende Kälte, sterbende Menschen und wenig Hoffnung waren die Begleiter. Und sie wiederholt fast mahnend: „Uns geht es gut, das sollten wir niemals vergessen, auch nicht in einer Krise.“

In der Lärchenallee 3, dort wo sonst jeden Tag die Parkplätze voll sind, griechische Musik beim geselligen Abend fröhliche Menschen begleitet, ist es dunkel, leer und still. Aber die Familie glaubt an sich und organisiert nun ein Außerhaus-Geschäft ihres Restaurants. Sohn Ioannis bongt die Bestellungen, Ekatarina steht mit ihrer Schwiegermama in der Küche und Dimitri Gianikis setzt sich auch mal in den Transporter, um die Bestellungen auszufahren. „Wir haben uns, unsere Familie. Das ist wichtig. Nun bringen wir das Essen eben zu unseren Freunden oder sie kommen und holen es ab“, sagt der griechische Gastwirt. „Man muss immer positiv denken.“ Und ihm fällt dazu natürlich auch ein Satz von Sokrates ein: „Achtung verdient, wer vollbringt, was er vermag.“

„Meine Schwiegereltern betreiben einen großen Hof und schaffen vieles gesundheitlich gar nicht mehr“, sagt Heiko Stolp, der normalerweise am Wochenende bei Großveranstaltungen als Stadtbediensteter im Einsatz ist. „Es blieb viel Zeit, der Familie unter die Arme zu greifen. Das hat uns wieder viel näher gebracht.“ Er erinnert sich aber auch an gute Geister der Stadt, die unter strengen Auflagen kleine Veranstaltungen organisiert haben, damit Menschen zusammenkommen konnten. „Es ist wichtig, dass man in so einer Zeit den Mut aufbringt, etwas zu tun.“

Auch das Reiseverhalten veränderte sich zwangsläufig. Fahrradhändler kommen mit den Auslieferungen kaum nach, weil immer mehr Menschen den Drahtesel für sich entdecken. Statt ans Mittelmeer ging es im Sommer mit dem Rad auf Bauernhöfe, an die Mecklenburgische Seenplatte oder an die Ostseestrände.

„Ende Oktober war es sehr ungewöhnlich auf dem Darß“, sagt Marie-Luisa Lembcke. „Kilometerweit einsame Strände, leere Straßen, geschlossene Restaurants. Da war plötzlich Zeit, um ein Buch zu lesen oder für Gesellschaftsspiele. Plötzlich war man ganz bei sich und konnte in der Stille auf die wichtigen Dinge im Leben hören.“

Holger Herrmann

Abstand halten: Bernd Nottebaum machte aus dem Immobilienforum eine Fahrradtour durch die Stadt, Foto: maxpress

Trainertalk statt Handballspiele: Patrick Bischoff setzt auf Alternativen, Foto: maxpress

Ioannis Gianikis fährt mit seinem Vater Dimitri selbst die Bestellungen aus, Foto: maxpress