Lindwurm wälzt sich im Schweriner See

Auf der Spurensuche im Stadtarchiv nach einer Jahrhunderte alten Legende

Schwerin • Ein Lindwurm haust im Schweriner See, im Berg auf der Insel Ziegelwerder lebt er und wälzt sich dort ins Wasser. Jeden Winter hinterlässt „die Bost“ Spuren unter dem Eis, so erzählen die Sagen. Sie sind älter als Schwerin selbst. Im 12. Jahrhundert führt der gottesfürchtige Gunzelin von Hagen als Graf von Schwerin sogar zwei Lindwürmer in seinem Wappen. Und heute findet Archivassistent Rainer Blumenthal noch immer zahlreiche Spuren vom Lindwurm im Schweriner Stadtarchiv. 

Zur Zeit der Wenden sprang ein furchtloser Fischer von seinem Kahn auf das Untier im Schweriner See und ritt eine Zeit lang auf seinem breiten Rücken, wie Rainer Blumenthal erzählt. Die mündlichen Überlieferungen würden aus dem zwölften Jahrhundert stammen oder seien unter Umständen noch älter. „Ganz genau kann man das gar nicht festlegen“, so der Archivassistent. Schriftliche Aufzeichnungen seien deutlich jünger.  
Die Bost ist in den Sagen ein hässliches, schlangenartiges, eher menschenscheues Ungeheuer. Von einem drachenähnlichen Geschöpf mit einem Kopf ähnlich dem eines Affen oder eines Schweins ist da die Rede. Auf den Inseln Kaninchenwerder und Ziegelwerder wurde der Lindwurm gesichtet, aber auch im Heidensee und in Bad Kleinen und Flessenow.  „Wenn Winter’s, es is up ’n Sweriner See, wo de Lindworm treckt is“, heißt es in Richard Wossidlo (1859 – 1939) Sammlung Mecklenburgischer Sagen aus dem Jahr 1939. Von  verschiedenen Lindwurmstraßen ist die Rede, wenn die Leute sagen: „Da zieht die Bost entlang.“ Gemeint seien vermutlich dunkle, langgezogene Stellen unter dem Eis des gefrorenen Schweriner Sees, vermutet Rainer Blumenthal. „Das könnte auf eine Untiefe hinweisen.“ An anderer Stelle heißt es, dort wo der Lindwurm seine Bahnen ziehe, breche das Eis auf und friere nicht mehr zu. „Ursache für das Phänomen könnte eine warme, unterirdische Quelle sein, die das Wasser an dieser Stelle speist und so sehr erwärmt, dass der See nicht gefriert.“ Erklärungen gibt es mehrere, und einige Hinweise für die Fischer: „Dort wo im Winter der Lindwurm über den See gezogen ist, kann man sehr gut Barsch angeln.“
Wissenschaftliche Beweise für die Existenz eines lindwurmähnlichen Tieres im Schweriner See fehlen Rainer Blumenthal zufolge vollständig. Abbildungen gibt es nur im Siegel des Gunzelin von Hagen (etwa 1125 – 1185), der später zum ersten Grafen von Schwerin erhoben wurde. Sein Wappen aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zeigt zwei Lindwürmer, Schlangen mit Flügeln, Beinen und Drachenköpfen. Als der gottesfürchtige Gunzelin die heidnischen Wenden der Stadt Schwerin verwies, wurden auch die Berichte über den Lindwurm im Schweriner See weniger, bis sie schließlich ganz ausbleiben. Nur die uralte Tradition bleibt, in den Pfingstfeuern auch einen Lindwurm zu verbrennen.   

Juliane Fuchs