Hoffnung auf Hochschulstandort

Schwerin zwischen Zurückhaltung und Zuversicht

Schwerin • „Muss Schwerin wirklich Hochschulstandort werden? Brauchen wir mehr Studierende? Können wir uns das überhaupt leisten?”, lauten die wenig Euphorie enthaltenden Fragestellungen innerhalb der seit Jahren geführten Debatte von Stadt, Land und Wirtschaft. Kein Wunder also, dass Studierende der Landeshauptstadt eher fern bleiben. Junge, wissbegierige Menschen hingegen für ein Studium in Schwerin zu begeistern, hat sich der Förderverein von Hochschulen in Schwerin zur Aufgabe gemacht.

Keine Tradition, kein Geld, kein Potenzial – das sind die Argumente, die wenig Hoffnung auf eine Etablierung Schwerins zum Hochschulstandort machen. Zwar lässt sich die Landeshauptstadt in dieser Hinsicht nicht mit Universitätsstädten wie Rostock und Greifswald vergleichen, dennoch regte sich in den 1990ern das Bedürfnis, auch in Schwerin eine Hochschule zu etablieren. Viele Versuche wurden unternommen. Zur Ansiedelung einer Hochschule braucht es nicht nur Räumlichkeiten, Studieninteressierte und Professoren, sondern auch die Akkreditierung des Wissenschaftsrates. Studieninhalte und -organisation müssen aufeinander aufbauen. Doch die Konzepte waren meist aus Geldmangel nicht realisierbar und scheiterten.
Kein Grund aufzugeben, dachte sich Dr. Joachim Wegrad vom Förderverein, der sich seit 2001 für das Thema stark macht. „Wir sind quasi Lobbyisten, reden mit Institutionen und versuchen, Vereine, Verbände und Partnerunternehmen zusammenzuführen und auf den Vorzug privater Strukturen aufmerksam zu machen.” Seit über 16 Jahren unternimmt der Vereinsvorsitzende alles, um Hochschulansiedelungen zuwege zu bringen – mit Erfolg. 2006 konnte die erste private Hochschule – die heutige FHM – ihren Betrieb aufnehmen und bietet unter anderem die Studiengänge Hotel- und Tourismusmanagement, Wirtschaftsingenieurwesen, Marketing und Unternehmensmanagement. Es folgten weitere: die Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, die Vitruvius-Hochschule mit Game Design, Mode- und Kommunikationsdesign, die SWS Schulen mit Physiotherapie und Logopädie sowie das Studienzentrum der Hamburger Fern-Hochschule.
Etwas mehr als 1.000 Studierende lernen in Schwerin. Sie schätzen vor allem die kurzen Wege zu Lehrorten und Kulturstätten, preisgünstige Wohnungen sowie den Charme der Innenstadt. Dass Studierende, die erst einmal den Weg nach Schwerin gefunden haben, ihre Entscheidung nicht bereuen, beweisen junge Menschen wie Can Calimbay, Nico Schnoor und Ann-Kathrin Sommer.
2020 sollen es mehr als doppelt so viele Studierende sein. „Doch wenn wir das wirklich schaffen wollen, müssen wir den Standort stärken. Geld ist hier überhaupt kein Thema. Aber die Identifikation und Konsequenz fehlt. Einfach abzuwarten reicht nicht“, ist sich Dr. Joachim Wegrad sicher. Die Gründe für die Gewinnung junger Leute liegen klar auf der Hand: Schaffung von weiteren Arbeitsplätzen, Zuzüge, Mehreinnahmen durch den kommunalen Finanzausgleich, Erhöhung der Kaufkraft, Ausbildung akademischer Fachkräfte, Leben und Flair in der Stadt.
Dennoch scheint der Funke nicht überzuspringen. „Es fehlt leider an ganz einfacher Werbung. Für Schwerin wird immer mit Natur und Kultur geworben. Hochschulen bleiben außen vor.” Der Appell von Dr. Joachim Wegrad geht vor allem in Richtung Politik: „Mein Vorschlag wäre, dass sich die Landesregierung überhaupt mit der Thematik privater Hochschulen und deren Integration in die Hochschullandschaft des Landes beschäftigt. Das ist keine Frage des Haushaltes. Doch ohne die Befürwortung der Landesregierung wird es schwierig.” Das bemängeln die Hochschulen gleichermaßen. „Auch die Stadtverwaltung und alle Skeptiker sollten sich mit ihrer Stadt als Hochschulstadt mehr identifizieren und die Möglichkeiten nutzen. Vielleicht gibt es dann irgendwann sogar die Chance, staatliche Strukturen kooperativ mit Wismar zu etablieren.” 

hauspost/ml


Hochschulen in der Landeshauptstadt:

• SWS Schulen gGmbH
Ziegelseestr. 1, 19055 Schwerin
(0385) 20888-0
info@sws-schulen.de
www.sws-schulen.de/fortbildung

• Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Schwerin
August-Bebel-Straße 11/12, 19055 Schwerin
(0385) 742 098-0
(0385) 742 098-22
schwerin@fh-mittelstand.de
www.fh-mittelstand.de/schwerin

• Vitruvius ­Hochschule Leipzig, Campus Schwerin
Bergstraße 38, 19055 Schwerin
(0385) 555 977-5
info@vitruvius-hochschule.de
www.vitruvius-hochschule.de

• HFH – Hamburger Fern-Hochschule, Studienzentrum Schwerin
Pampower Str. 3, 19061 Schwerin
(0385) 644 37-0
info@hfh-fernstudium.de
www.hfh-fernstudium.de

• Hochschule der ­Bundesagentur für Arbeit (HdbA)
Wismarsche Str. 405, 19055 Schwerin
(0385) 5408-3
hochschule-schwerin@arbeitsagentur.de
www.hdba.de


Reaktionen und Kommentare unserer Leser:

Dr. H.-J. Ziegelasch
Dieses Thema beschäftigt mich seit vielen Jahren. Ich erteile Unterricht für verschiedene medizinische Berufe (Krankenschwestern, Diätassistenten, Podologen) und erfahre in den Diskussionen, dass junge Menschen, die eine Landeshauptstadt beleben, fehlen. „Abends ist hier nichts mehr los“ sagen die Auszubildenden.
Es müsste nach meiner Ansicht möglich sein, dass die Rostocker und Greifswalder Universität zumindest eine Fakultät nach Schwerin verlagern.
Am Schweriner Klinikum sind erfahrene Dozenten tätig, die auch nach dem Physikum mit Sicherheit die Medizinstudenten zu guten Ärzten weiterbilden und so die beiden Universitäten entlasten könnten. Dies wäre nur ein möglicher Beginn.


Fr. Dr. Gelzer, wissenschaftliche Leiterin der FHM Campus Schwerin
Wie ist die Wahrnehmung der Schweriner Bevölkerung bezüglich der Hochschulsituation in Schwerin?
„Die Tatsache, dass Schwerin vier Hochschulen hat, ist den meisten Schwerinern wohl kaum geläufig. Wenn überhaupt, verknüpft man die Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Schwerin am ehesten mit jungen Chinesen. Diese bereiten wir im Rahmen eines Studienkollegs auf ein Studium in Deutschland vor. Wenigen dürfte darüber hinaus bekannt sein, dass wir in grundständigen Bachelor- und Masterstudiengängen deutsche und internationale Studenten in den Fachbereichen Wirtschaft, Psychologie und Tourismus qualifizieren sowie derzeit unser Portfolio in Richtung Gesundheit/Sport/Ernährung ausbauen.“

Warum ist es wichtig, Schwerin als Hochschulstandort zu stärken?
„Die Standortattraktivität einer Stadt – einer Landeshauptstadt – ist ganz klar auch eine Funktion der Präsenz von Hochschulen. Wirtschaftsnah ausbildende Hochschulen dürften hier zusätzlich zur Standortattraktivität nicht nur für potenziell anzusiedelnde Unternehmen, aber auch für Schulabgänger bzw. Rückkehrer mit Ihren Familien beitragen. Nicht zu vernachlässigen ist dabei sicher ein potenzieller Bindungsfaktor – Fachkräfteversorgung aus der Region für die Region.“

Wird aktuell ausreichend für eine Stärkung unternommen oder welche Maßnahmen wären notwendig?
„Die Stadt Schwerin könnte sich aus unserer Sicht noch stärker engagieren, indem sie auch die privaten Hochschulen als Attraktivitäts- und Wettbewerbsfaktor für die Stadt und das Umland das Stadtbild hervorhebt bewirbt. Maßnahmen könnten von einer stärkeren Integration in das Standortmarketing, über städtische Angebote zur Steigerung der Campus-Attraktivität (z.B. Parkplätze) bis hin zu hochschulübergreifenden Angeboten speziell für Studierende (Studentenkeller usw.) reichen. Der Verein „Förderer von Hochschulen in Schwerin e.V.“ ist hier sehr aktiv und äußerst bemüht, auch im Zusammenspiel mit Multiplikatoren, die Wahrnehmung der Hochschulen zu steigern.“


Fraktion DIE LINKE. im Landtag Mecklenburg-Vorpommern
Grundsätzlich vertritt DIE LINKE die Meinung, dass eine Hochschule noch keiner Stadt geschadet hat. Hochschulen bringen immer neuen Input, neue Ideen, schaffen Arbeitsplätze und sind oft Grundlage für die Gründung neuer Unternehmen. Ihr Einfluss auf stadtgesellschaftliche Entwicklung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Schwerin ist die einzige deutsche Landeshauptstadt, die keine eigene staatliche Hochschule hat, von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit und der Fachhochschule des Mittelstandes einmal abgesehen. Diese sind jedoch eher als Fachschulen denn als akademisch ausbildende Einrichtungen anzusehen.
Das Fehlen einer staatlichen Hochschule jedoch ist für Schwerin ein eindeutiger Wettbewerbsnachteil. Daher fordert DIE LINKE in Schwerin seit langem eine derartige Einrichtung. Die ehemalige linke Oberbürgermeisterin Schwerins, Angelika Gramkow, hat in ihrer Amtszeit von 2008-2016 immer wieder die Errichtung einer Außenstelle der FH Wismar gefordert, bis heute leider vergeblich. Ein Grund dafür ist schwer auszumachen, sind die bisherigen Rückkopplungen doch durchaus positiv, bspw. die Kooperation mit dem Technologie- und Gewerbezentrum Schwerin, seit dessen Gründung 1990 zahlreiche Absolventen der FH den Weg in eine selbständige Tätigkeit in Schwerin und Umgebung gefunden haben. Die Entscheidung, Schwerin aufgrund seiner Vergangenheit als Residenzstadt und dem damit verbundenen Vorhandensein seiner Repräsentativbauten zur Landeshauptstadt zu küren, dürfte jedoch – aus Kostengründen - eine Rolle gespielt haben, sich von Seiten der damaligen schwarz-gelben Landesregierung gegen eine Hochschule in Schwerin zu auszusprechen.
Heute zeigt sich, welche Folgen das langfristig hat: die einzige private Hochschule in Schwerin, die Designhochschule, hat ihren Hauptsitz inzwischen nach Leipzig verlegt. Als Grund gab die Hochschulleitung an, dass die Studiengänge Grafik-, Mode- und Game-Design kaum auszulasten waren. Die Strahlkraft Schwerins lässt also diesbezüglich zu wünschen übrig. Ohne ein Engagement der Landesregierung und einer staatlichen Hochschule wird sich das kaum ändern lassen.
Für DIE LINKE ist jedoch auch klar, dass ein staatlicher Hochschulstandort Schwerin auch eine Aufstockung des gesamten Hochschulbudgets im Landeshaushalt nach sich ziehen muss. Eine „Kannibalisierung“ der Hochschulen untereinander aufgrund dadurch reduzierter Haushaltsmittel für die anderen Hochschulen des Landes lehnt DIE LINKE ab.

Letzten Endes kann nur die Entscheidung der Landesregierung, mehr Geld in den Wissenschaftsstandort M-V insgesamt zu investieren und dabei auch Schwerin zu berücksichtigen, zum Erfolg führen. Geht der Staat hochschulpolitisch mit gutem Beispiel voran, so sind Synergieeffekte mit der Privatwirtschaft und damit auch privaten Hochschulen nicht weit, das haben andere Städte bewiesen.