hauspost-Kommentar Oktober 2018: Lärchenallee

Holger Herrmann, Chefredakteur

Liebe Leserinnen und Leser,

die beherzte Stimme von Schlagerikone Alexandra
aus den späten 60er-Jahren klingt mir im Ohr, wenn ich an der Wolfsschlucht in Friedrichsthal auf der Lärchenallee in die Wohnsiedling abbiege: „Mein Freund der Baum ist tot, er starb ....“. Dann geht mein Blick nochmal auf die alte Lärche an der Kreuzung und ich frage mich die nächsten 900 Meter, ob ich mir die Straße ohne riesige Lärchen überhaupt vorstellen kann. Hier habe ich im Schatten der Bäume schon als Kind Kienäppel zusammengesucht und mit nach Hause genommen. Die Allee war mein Weg zum Neumühler See, zum Jagdschloss und zum Eismann in der Ausfluggaststätte. Und mein Sportlehrer hat uns hier auf die Laufstrecke geschickt. Ehrlich, vor zwanzig Jahren habe ich noch gelächelt als die Naturschützer eine millionenschwere Umgehungsstraße forderten, damit das Wurzelwerk der alten Riesen nicht erschüttert wird. Im Durchschnitt werden die Bäume schließlich nicht älter als 200 Jahre – also warum soviel Geld ausgeben? Lohnt sich das überhaupt noch? Lasst doch die LKW hier durchfahren und Tempo 30 ist sowieso überschätzt.
Ein paar von diesen alten Lärchen stehen immer noch. Auch wenn der Herzog nicht mehr vorbeischaut, halten sie standhaft an ihrer Aufgabe fest. Aus Solidarität zur Baumgeneration aus den 70ern und zum Schutz der kleinen Nachkömmlinge in den Alleelücken aus den vergangenen 25 Jahren. Damit sie den Straßenrand ausfüllen und das Bild erhalten. So ist das Leben, denke ich. Ein Umdenken findet statt. Und die, die man belächelt hat, lächeln zurück, während sie mit der Gießkanne in der Allee stehen und nach weiteren Baumpaten Ausschau halten.

Herzlichst, Ihr
Holger Herrmann