Der andere Blick auf die Stadt

Wie ein Wessi rüber machte und wie er zu Schwerin steht

Im Sommer 2019 zog Patrick Kiefer samt Familie von Hamburg nach Schwerin.
Im Sommer 2019 zog Patrick Kiefer samt Familie von Hamburg nach Schwerin, Fotos: privat

Neue Heimat im einstigen Nirgendwo

Schwerin • Über 40 Jahre lang spielte Schwerin für mich keine Rolle. Es war eine x-beliebige Stadt, die durch den Mauerfall eben zu Deutschland gehörte. Tief im Westen geboren, aufgewachsen und komplett sozialisiert, schien mir der neue Osten so fremd wie Fernost. Kalifornien lag da bedeutend näher. Meine Schwester war ausgewandert und ihr San Diego hatte eine größere Anziehungskraft als die Mecklenburgische Seenplatte. Nun lebe ich seit Juli hier und daran sind meine Familie und die eben erwähnte Schwester schuld.

Sie heißt übrigens Ruth und ist Sängerin mit Leib und Seele. Im Sommer 2011 vollzog sie überraschend einen radikalen Schnitt in ihrem Leben. Sie zog aus Pacific Beach, einem sonnigen Strand-Paradies, nach Schwerin. Schnell führte mich ihr erfolgreiches Engagement im Chor des Mecklenburgischen Staatstheaters erstmals zum Schloss und in die Puschkinstraße. Hier also wollte sie ihren Traum leben. Große Oper, statt knapper Bikini. Dass ich sieben Jahre später in Hamburg Winterhude einen Möbelwagen beladen würde, um hier meinerseits einen neuen Lebensabschnitt einzuläuten – absehbar war das wahrlich nicht. Und jetzt kommen Annabel, Niklas und Vincent ins Spiel.

Im Frühjahr 2019 sagte meine Frau: „Unsere Jungs brauchen mehr Platz.“ Es stellte sich folgende Frage: Wo gibt es in Hamburg eine 100 Quadratmeter-Wohnung in bester Lage zu bezahlbaren Konditionen? Wir googelten fleißig und inserierten im Abendblatt – doch weder die Wunschlösung noch Plan B wollte vom Himmel fallen. Meiner kleinen Schwester gefiel das. Sie lockte: „Kommt doch nach Schwerin. Ich fänd auch Zeit, um mich um die süßen Zwillinge zu kümmern.“ Erste Überlegungen wurden rasch konkreter. Wie funktioniert ein Lehrer-Ländertausch für meine Frau? Gibt es schöne Wohnungen und einen Kita-Platz? Und: Wie geht das Leben für mich, den freien Journalisten weiter, wenn wir der Medienhauptstadt Hamburg plötzlich den Rücken kehren? Auf alle Fragen gab es passende Antworten. So war am Gymnasium Fridericianum eine Stelle zu besetzen, bei den Schlossgeistern buhlten wir erfolgreich um zwei Kita-Plätze und auch der angespannte Wohnungsmarkt meinte es letztlich gut mit uns. Wobei – die Hoffnung, in eine wunderbare Zukunft mit deutlich reduzierten Lebenshaltungskosten aufzubrechen, erfüllte sich nicht. Brötchen, Eis, Klamotten und Wohnraum – das alles ist fast auf Hamburger Niveau. Viele Menschen haben längst gemerkt, wie schön es hier ist. Schwerin ist nach wie vor „in” und das völlig zu Recht. Das kulturelle Angebot, die Natur, der Zoo – aus vielen Zutaten ergibt sich für Familien ein Rundum-glücklich-Paket.

Vermissen wir Hamburg noch? Eigentlich nicht. Nicht zuletzt dank des Meck-Pomm-Tickets ist die Anbindung perfekt. Klar, einige Bekannte existieren leider nur noch via WhatsApp oder Facebook, aber der enge Kreis ist rasch erreichbar. Und: Er bricht umgekehrt auch gerne mal auf – neugierig auf den ach so fernen Osten!

Patrick Kiefer

Patrick Kiefers Schwester Ruth und seine kleine Familie sind „schuld“ an dem Glück
Patrick Kiefers Schwester Ruth und seine kleine Familie sind „schuld“ an dem Glück