Wielands Försters „Großer Schreitender Mann“ kann zurückkehren
Wie die preisgekrönte Plastik vom Waldfriedhof nach Güstrow gelangte
Schwerin • Sie fehlt seit mehr als 50 Jahren und ist doch eng mit der Landeshauptstadt Schwerin verbunden. Gemeint ist die Bronzeplastik „Großer Schreitender Mann“ des national wie international berühmten Bildhauers Wieland Förster (*1930). Die beinahe zwei Meter messende Figur war im Jahr 1970 kurz vor der offiziellen Übergabe der neu errichteten Feierhalle auf dem Schweriner Waldfriedhof in Anwesenheit des Künstlers aufgestellt worden.
Wenige Wochen später besuchte Bernhard Quandt (1903-1999), 1. Sekretär der Bezirksleitung, den Ort und sorgte für die Entfernung des Kunstwerks. Fritz Schwarzer (1938-2016), der damalige stellvertretende Direktor des Staatlichen Museums Schwerin, schrieb in einem Erinnerungsbericht aus dem Jahr 1992 über diese Begebenheit: Bauarbeiter seien vom Genossen Quandt zu einer Meinungsäußerung zum „Schreitenden“ aufgefordert worden und hätten die Figur wegen ihres kräftigen Körperbaus und der langen Arme „unseren Gorilla“ genannt.
Namhafte Künstler verhinderten Vernichtung des Kunstwerks
Bestärkt in seiner ablehnenden Haltung, ordnete Quandt die Demontage an. Die zur Stellungnahme aufgeforderte Kultur-Abteilung der SED-Bezirksleitung nahm das flapsige Urteil der Werktätigen auf: Der dargestellte Mensch erinnere mit seinen über die Knie herabhängenden Armen an einen Urmenschen. Mit den überdimensionierten Muskeln an Armen und Beinen, mit Bauch und naturalistisch gestalteten Fettpolstern bis hin zum Gesichtsausdruck, der gedankenfern und stupide erscheint, stelle die Figur einen Mann dar, der körperlich stark verbraucht sei, hieß es in der offiziellen Beurteilung. „Dies ist nicht typisch für den Menschen unserer Zeit, schon gar nicht für den der kommenden Jahrzehnte.
Aus diesen Gründen kann die Aufstellung der Plastik auf dem Waldfriedhof nicht befürwortet werden.“ Fritz Schwarzer sowie namenhafte Künstler wie Karlheinz Effenberger (1928-2009), Stefan Thomas (*1932), Jo Jastram (1928-2011) und Otto Niemeyer-Holstein (1896-1984) verhinderten jedoch schlimmeres, da auch der Vorschlag des Finanzministers der DDR im Raum stand, die Plastik einschmelzen zu lassen. Nachdem die Plastik mehrere Jahre den Blicken der Öffentlichkeit entzogen war, entschied Schwarzer, nunmehr Direktor des Staatlichen Museums, den „Großen Schreitenden Mann“ zu einer Ausstellung nach Temeswar (Rumänien) auszuleihen – ohne vorherige Genehmigung. Hier wurde die Plastik mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, die für das weitere Schicksal der Bronze nicht ohne Folgen blieb. Die Funktionäre der Schweriner Bezirks- und Parteileitung waren hierdurch als „banausenhafte Kunstzerstörer“ (Wieland Förster) vorgeführt und mussten handeln. Fritz Schwarzer erhielt ein Disziplinarverfahren. Er wurde seines Amtes enthoben. Doch die nunmehr international ausgezeichnete Plastik konnte ihr bisheriges Kellerexil verlassen. Sie wurde auf dem Gelände der Getrudenkapelle der Ernst-Barlach-Stiftung in Güstrow öffentlich ausgestellt, wo sie gegenwärtig auch noch steht.
Staatliches Museum befürwortet Rückkehr nach Schwerin
Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Schweriner Waldfriedhofes im Jahr 2020 wurde bei Schwerinerinnen und Schwerinern der Wunsch nach einer „Rehabilitierung“ der Plastik, also einer Rückkehr zum historisch bestimmten Standort, laut. Die Stadtvertretung beauftragte das Kulturbüro am 26. Oktober 2020, die Aufstellung der Plastik am angestammten Platz prüfen zu lassen. Auch das Staatliche Museum, zu dessen Kunstschätzen der „Große Schreitende Mann“ gehört, signalisierte ebenso wie die Barlach-Stiftung ihre Zustimmung. „Die Rückführung der Plastik an den Ort, für den sie ursprünglich vom Künstler geschaffen wurde, ist dem Museum ein wichtiges Anliegen. Damit wird nach über 50 Jahren dem Waldfriedhof wieder ein Stück Authentizität zurückgegeben sowie dem Willen und Wirken des Künstlers Rechnung getragen,“ so Dr. Pirko Zinnow, Direktorin des Staatlichen Museums Schwerin.
Auch der Künstler Wieland Förster begrüßt den Wunsch, den „Großen Schreitenden Mann“ wieder auf seinen ursprünglichen Platz zurückzuholen. Für Schwerins Oberbürgermeister Rico Badenschier ist damit klar, dass der Umzug von Güstrow nach Schwerin damit in die Wege geleitet werden kann: „Mit dem positiven Votum des Staatlichen Museums ist es nun möglich, die vor 50 Jahren geschaffene Leerstelle auf dem Waldfriedhof wieder zu füllen. Dies ist nicht nur eine Genugtuung für den Künstler, sondern auch eine Bereicherung für die Landeshauptstadt: Denn der Waldfriedhof repräsentiert ein wichtiges Stück Architekturgeschichte der DDR. Er steht heute teilweise unter Denkmalschutz. Mit der Rückkehr der preisgekrönten Plastik wird das Bauensemble wieder komplementiert und gewiss auch ein neuer Anziehungspunkt für Besucherinnen und Besucher des Friedhofs.“
Pressestelle LHS