Die Natur fest im Blick
Alice Samuels schaut bei Bauprojekten gerne ganz genau hin
Schwerin • Es regnet. Alice Samuels serviert zum Gespräch heißen Roibuschtee. Das passt. Nicht nur, weil es draußen nasskalt ist, sondern auch, weil die 30-Jährige ihre Wurzeln – wie der Tee – in Südafrika hat. Ihr Vater kehrte der Republik einst den Rücken, flüchtete in den unseligen Zeiten der Apartheid und begann in der ehemaligen DDR ein neues Leben. Lange ist es her und heute lebt seine Tochter glücklich in Schwerin. Tiere, Pflanzen und Fahrradwege liegen ihr hier besonders am Herzen.
Im Mai 2019 zog sie aus Oldenburg hierher. „Ich wollte unbedingt zurück in den Osten und ans Wasser“, erzählt Alice Samuels.
Aufgewachsen ist die junge Frau in Königs Wusterhausen in Brandenburg und als sie ihr zweites Studium abgeschlossen hatte, stellte sich die entscheidende Frage: Bad Doberan oder Schwerin? Hier wie dort gab es eine berufliche Perspektive. Beide Orte passten geografisch gut zum Studienplatz ihres Partners in Greifswald. Schwerin gefiel ihr, denn hier hatten schon ihr Onkel und ihre Tante ein Boot. Damit war alles klar.
Doch vorher bleibt die Frage: Wieso eigentlich zwei Studiengänge? „Zunächst machte ich meinen Bachelor an der TU Berlin am Institut für Luft- und Raumfahrt. Anschließend studierte ich sechs Semester Umweltwissenschaften in Oldenburg“, erklärt Alice Samuels. Das klingt ungewöhnlich, zumal Teil 1 ihrer Ausbildung sicher gut bezahlte Möglichkeiten eröffnete. „Mag sein. Aber Geld ist nicht alles,“ antwortet sie.
In ihrem Umfeld bewegten sich zu viele Freunde mit spürbar mehr Leidenschaft. „Ich fand meinen Weg immer interessant, aber das Gesamtpaket erfüllte mich nicht“, ergänzt sie. Keine Frage: Die Natur liegt Alice Samuels mehr am Herzen als der Flugzeugbau oder gar die Organisation des Flugverkehrs. Beinahe hätte sie das vergessen – auch weil sie einst in der Schule Biologie abgewählt hatte. „Meine Lehrerin vermittelte den Stoff so langweilig“, lamentiert sie. Dann aber beginnt sie zu schwärmen: „Ich war als Kind viel draußen, habe mich für Tiere interessiert und weiß noch, wie aufregend es war, wenn ich im Nationalpark Unteres Odertal einen Seeadler beobachten konnte.“ Vögel haben es ihr besonders angetan. Gemälde von Eulen schmücken ihre Wohnung, am Fenster zum Garten liegt ein Fernglas griffbereit.
Sowohl am Aussehen als auch an den Stimmen kann Alice Samuels die meisten heimischen Vogelarten problemlos identifizieren. „In Berlin habe ich ehrenamtlich beim NABU gearbeitet“, erzählt sie. Tatsächlich werden auch in der Millionenstadt Vogelstimmen- Führungen angeboten. Wie dem auch sei: In Schwerin konnte sie ihre persönlichen Interessen optimal mit ihrer beruflichen Aufgabe verknüpfen.
„Ich arbeite als Landschaftsplanerin und erstelle die nötigen Umweltgutachten für Bauprojekte“, erläutert sie. Straßen, Gleisanlagen, Windräder – Alice Samuels schaut sich sämtliche Vorhaben bis ins Detail an. Sind geschützte oder gefährdete Pflanzenarten betroffen? Welche Tiere verlieren möglicherweise ihren Lebensraum? Derartigen Fragen geht sie auf den Grund. „Auch Sölle, die für MV typischen Vertiefungen aus der Eiszeit, sind geschützte Biotope“, fügt sie noch rasch an.
Was sie an Schwerin besonders schätzt: „Mir gefällt die überschaubare Größe, im Sommer liebe ich die zahlreichen Badestellen, Ausflüge an die Ostsee und das kulturelle Angebot – sofern Corona es nicht verbietet“, antwortet sie. Und wo entdeckt sie noch Luft nach oben? „Ganz klar beim Thema Fahrradwege.“ Alice Samuels ist diesbezüglich verwöhnt.
In Berlin, wo Parkplätze Mangelware sind, hat sie alles mit dem Rad erledigt und Oldenburg zählt zu den bekanntesten Fahrradstädten Deutschlands. Alice Samuels, die voll hinter dem Radentscheid Schwerin steht, betont: „Auf der Lübecker Straße zu fahren ist kein Vergnügen und extrem gefährlich. Insgesamt finde ich die Infrastruktur für Radfahrer einer Landeshauptstadt nicht würdig.“ Wer weiß – vielleicht ändert sich daran ja schon bald etwas…
maxpress/Patrick Kiefer