Stadtgesicht: Das Erbe einer Familie

Sybille Dietz kämpft um „Das Martins”

Sybille Dietz führt das Martins in vierter Generation, Foto: maxpress
Sybille Dietz führt das Martins in vierter Generation, Foto: maxpress

Altstadt • Wer Sybille Dietz im „­Martins” erlebt, sieht eine Frau, die weiß, was sie tut. Stammgäste beschreiben sie als taff, stark und selbstbewusst. Sie ist hier groß geworden. Das Martins ist ein Familienunternehmen. Seit mittlerweile
20 Jahren führt Sybille Dietz Schwerins Wohlfühllokal in vierter Generation. Die Tradition der Familien aufrecht zu halten und gleichzeitig mit der Zeit zu gehen, war ein langer Weg und oft alles andere als einfach.

„Schon als Schülerin habe ich die Schnapsgläser poliert”, erinnert sich die heute 55-­Jährige. „Vor mehr als 30 Jahren fing ich dann hier an zu arbeiten. Dass ich den Laden mal übernehmen sollte, konnte ich mir allerdings erst nicht vorstellen.“ Denn Martins Bierstuben, wie das Lokal damals hieß, war ein Ort, an dem die Herren der Stadt regelmäßig einen über den Durst tranken. „Nach zehn Minuten haben mir vom Rauch die Augen gebrannt und die nächsten 40 Jahre immer nur Bier, Bockwurst und Besoffene vor der Nase zu haben – das war beängstigend.“ Die Wende war sodann Segen und Fluch zugleich: Schluss mit geregelten Öffnungszeiten und Mitte der 90er-Jahre ließen die Gäste auf sich warten. „Die, die Arbeit hatten, hatten keine Zeit und die, die Zeit hatten, hatten kein Geld. Doch hin und wieder kamen die Leute aus den alten Bundesländern, also von den Ministerien und Versicherungen, die uns Ossis umschulten. Irgendwann fragte jemand meine Mutter: ‚Mensch Nati, kannst du uns nicht mal `ne Bulette braten?’ Von da an haben wir Küche gemacht.“ Zu DDR-Zeiten sei das nicht möglich gewesen. Gaststätten waren in Kategorien eingeteilt:
Preisstufe 1 – Kiosk ohne Sitzplätze;
2 – geschlossener Raum mit Sitzmöglichkeiten, so wie Martins Bierstuben;
3 – Lokale mit Alu-Besteck für Rotkohl, Weißkraut und Möhren; und
4 – Gaststätten mit Edelstahl-Besteck für Spargel und Champignons.

„Damals war eben alles festgelegt, auch wie viel Gramm wovon auf die Teller durfte. Teilweise gab es Spitzel, die haben sich ein Essen bestellt, die Soße runtergekratzt und nachgewogen. Wenn da was nicht gestimmt hat, musste man Strafe zahlen.“ Nach der Wende ging es also los mit Buletten, Fertig-Schnitzeln und Fertig-Bratkartoffeln. Heute legt Sybille Dietz viel Wert darauf, alles frisch zuzubereiten, mit regionalen Produkten.
Mit dem Imagewechsel, von der Kneipe zur Wohlfühl-Gaststätte, musste 2007 auch ein neuer Name her. „An dem Tag, als ich mich für ,Das Martins’ entschied, lief mir später ein Hund zu. Das war wie ein Zeichen für mich. Also habe ich den Hund behalten, ihn ebenfalls Martin genannt und er hat mich komplett verändert.“ Denn privat sei sie bis dahin eher schüchtern gewesen, wollte niemandem zur Last fallen. Privat gab es Sybille Dietz überhaupt selten. „Mein Leben bestand zu 99 Prozent aus Arbeit. Mit dem Hund musste ich dann auch mal raus und so bin ich viel offener geworden. Und auch in Zeiten familiärer Schicksalsschläge war mir Martin eine große Stütze.“
Die Gastronomin arbeitet zwar immer noch viel, bekommt aber tatkräftige Unterstützung von ihren Mitarbeitern. Lange Zeit waren es nur Frauen. „Wir sind wie eine Familie. Um 14 Uhr essen wir gemeinsam Mittag, das ist unser Ritual. Und sie bremsen mich auch mal aus, wenn ich wieder zu viel arbeiten will.“
Doch selbst die Freizeit muss bei Sybille Dietz produktiv sein, das heißt Speisekarten und Bierdeckel designen, Gestecke basteln oder alte Tische mit Mosaik aufpeppen. Sybille Dietz ist weit mehr als Wirtin, Kellnerin und Köchin. Sie ist Sekretärin, Handwerkerin und Grafikerin. „Ich möchte mir schon noch mehr Zeit für Freunde nehmen. Und endlich mehr mit meinem Wohnmobil reisen. Das ist mein Traum.“ Derzeit ist aber wieder die Kämpferin in ihr gefragt. Aufgrund der Corona-Krise musste sie ihr Lokal schließen. Stattdessen gibt es einen Außer-Haus-Service zur Abholung. Gerade in solchen Zeiten ist sie stolz und dankbar, ein tolles Team, ihre Tochter und treue Stammgäste hinter sich zu wissen. „Und deshalb mache ich den Job eben auch solange, wie ich noch kann.”

Marie-Luisa Lembcke


BU1: Die Geschäftsführerin packt auch handwerklich gern selbst mit an
BU2: Sybille Dietz und ihr jahrelanger treuer Begleiter Hund Martin
Fotos: maxpress/privat