Stets voller Zuversicht
Anne Trützschler ist ihren Schülern auch im Ruhestand noch verbunden
Friedrichsthal • „Bin ich die Richtige? Ein Gesicht dieser Stadt? Im Alter von 83 Jahren?“ Anne Trützschler hat zwar immer vorn an der Tafel, jedoch nie im Mittelpunkt gestanden. Trotzdem fängt sie sofort an zu erzählen beim Stichwort „Klasse“ – von ihren Schülern, von Begebenheiten und von Dingen, die ihr bis heute wichtig sind.
Der Weg in den Garten ist nach dem Umzug in die betreute Seniorenwohnanlage zwar deutlich kürzer geworden. Dennoch greift Anne Trützschler sich den Fahrrradhelm und radelt in das Kleinod nahe des Neumühler Sees. Hier badet sie regelmäßig. „Früher haben mein Mann und ich den ganzen Sommer im Garten verbracht. Er hat uns ernährt.“ Heute pflegt Alfred Trützschler Beete und Rabatten mit Blumen und einigen Reihen Gemüse. Die sind akkurat angelegt. Alles andere käme für Anne Trützschler nicht in Frage. Schließlich hat sie Generationen von Kindern beigebracht, wann Möhren und Radieschen in den Boden kommen, wie groß ein Kohlrabi bis zur Ernte werden darf und vor allem, dass Harke und Hacke sauber in den Schuppen gehören. Mit einem Lappen wurden die Geräte geputzt. Vorher war die Stunde im Garten der Lankower Ernst-Thälmann-Schule nicht vorüber. Dieser Schulgarten galt als Schmuckstück, Ort äußerst praktischer Erfahrungen und einer gefühlten Auszeit vom Klassenraum.
Kindern etwas beizubringen, war nicht der ursprüngliche Berufswunsch der bekannten Seniorin. Sie wollte in die Medizin. Wie so manches seinerzeit hat das nicht geklappt. Auf dem zweiten Bildungsweg ging es für die gebürtige Schwerinerin in die Pädagogik. Das war gut so, finden ihre Schüler noch heute. „Sie war eine tolle Lehrerin“, erinnert sich der eine. „Sie hat mich geprägt“, sagt eine andere. In Mathe, Deutsch und Biologie, vor allem aber als Klassenleiterin. Was die Mädchen und Jungen damals wohl nicht mal ansatzweise ahnten: „Ihre“ Frau Trützschler war beseelt von dem Gedanken, die Schüler auf einen guten Weg zu bringen. „Bei manchen stand das außer Zweifel. Bei anderen konnte keiner sicher sein, wie es weitergeht. Eins der Mädchen wollte Krankenschwester werden. Ihre Noten reichten dafür nicht. Ich habe mal gesagt: Du schaffst das schon. Und dann meinten plötzlich alle, dass ich das gesagt hätte... Diese Zuversicht breitete sich aus. Vielleicht war das der nötige Rückenwind. Sie hat es geschafft. Das freut mich bis heute.“
Überhaupt scheint es so, dass viele Schüler ihrer Lehrerin ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben. „Aus allen ist etwas geworden. Das macht mich unsagbar stolz. Ich treffe einige manchmal. Andere Lebenswege verfolge ich im Stadtgeschehen. Viele Akteure haben bei mir die Schulbank gedrückt.“ Tägliches Zeitunglesen ermöglicht das, ebenso die Lektüre der hauspost.
„Am meisten freue ich mich über jene, die es als Kind nicht einfach hatten oder echte Rabauken waren.“ Und heute? Alle sind gestandene Frauen und Männer!“ Anne Trützschler weiß beim besten Willen nicht, wie viele das waren.“ Von 1968 bis 1986 unterrichtete sie in Lankow, danach noch auf dem Großen Dreesch. So manchem hat sie auf ihre Art geholfen. Sie spürte, wenn Lampenfieber zum Blackout führte. Statt vor der Klasse zu referieren, durfte einer der Jungs im Vorbereitungszimmer sein Wissen niederschreiben. Mit Erfolg und dem Gefühl, kein Versager zu sein. „Man lernt ja auch von den Kindern“, sagt die Pädagogin.
Eine echte Lektion verpasste ihr einer der eigenen Söhne, als er sagte: „Erwachsene dürfen immer alles sagen. Wir nicht, weil wir klein sind?“ Das blieb im Gedächtnis. So wundert es nicht, dass Anne Trützschler auch eine gute Zuhörerin ist – feinfühlig, freundlich, mit sagenhaftem Erinnerungsvermögen. Um die eingangs gestellte Frage noch zu beantworten: Ja, Anne Trützschler ist ein Gesicht dieser Stadt, gern auch stellvertretend für die engagierte Lehrerzunft, wenn sie beim Konzertbesuch oder beim Tanzen, dem Treffen des früheren Kollegiums oder Ausflügen in die Umgebung unterwegs ist.
maxpress/Barbara Arndt