Ein Dirigent im Management

Theaterintendant Lars Tietje setzt auf Qualität

Schwerin • Mit Stücken wie „My Fair Lady” und „Faust” sorgte er bereits in seiner ersten Spielzeit für ausverkaufte Vorstellungen – Lars Tietje setzt als neuer Intendant des Theaters auf Qualität statt Quantität und sein Konzept scheint aufzugehen. Sein Ziel: Die Schweriner davon zu überzeugen, dass das Mecklenburgische Staatstheater IHR Theater ist und darüber hinaus ein Theater zum Anfassen.

„Theater ist eine sehr konfrontierende Kunst. Das entspricht immer weniger der heutigen Gesellschaft. Menschen wollen teilhaben und mitmachen”, erklärt der studierte Lehrer, Dirigent und Kulturmanager. Um diesem Drang gerecht zu werden hat Lars Tietje in dieser Spielzeit eine neue Stelle mit dem langen Namen „Theaterpädagogik, Vermittlung und Partizipation” geschaffen, die sich genau mit diesem Thema befasst. Angebote zum Mitmachen für Klein und Groß wurden ausgebaut. Gleichzeitig hat der „Neue” aber auch einige Abläufe und Personalien umstrukturiert. „Das war zwar umstritten, aber aus meiner Sicht sinnvoll. Im Großen und Ganzen baue ich auf vorhandenen Strukturen auf”, sagt Lars Tietje.
Das beinhaltet für den neuen Intendanten auch, bei allen Vorstellungen eine spürbare Qualität zu schaffen. Im Falle von „My Fair Lady” ist ihm das schon gelungen. Während die Inszenierung des selben Stücks in den 90ern noch für ihre pompösen Bühnenbilder gefeiert wurde, setzt Lars Tietje auf etwas weniger. Das Stück lebt von seinen treffend besetzten Darstellern und begeisterte so in mehreren ausverkauften Vorstellungen das Schweriner Publikum. Da Menschen aber bekanntlich sehr unterschiedliche Geschmäcker haben, will sich Lars Tietje noch um einen zweiten wichtigen Punkt am Theater bemühen: „Wir wollen und brauchen Vielfalt.  Es geht darum, eine Bandbreite zu schaffen, die jeden anspricht. Das zeigt sich schon in der aktuellen Spielzeit: Vom ,Faust‘ bis hin zur ,My Fair Lady‘ ist alles dabei”, so der Intendant.

Interview mit dem neuen Generalintendanten und Geschäftsführer des Mecklenburgischen Staatstheaters Lars Tietje

hauspost: Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Lars Tietje: Über die Musik. Ich komme aus einem kulturell nicht besonders aktiven Elternhaus und begann irgendwann selbst, mich für Musik zu interessieren. Ich habe dann im Schulchor gesungen, in Bands gespielt. So bin ich dann auch in eine Musical-Produktion meiner Schule gekommen. Dort habe ich aber nicht selbst auf der Bühne gespielt, sondern war der musikalische Leiter. Das hat in mir den Wunsch geweckt, so etwas auch beruflich zu machen. Ich habe dann in Hamburg Lehramt studiert – Musik und evangelische Theologie. Dort kam ich wieder in Berührung mit Theaterproduktionen und habe auch meine erste Oper dirigiert. Das hat mich dazu gebracht, nebenbei auch noch Dirigent zu studieren, aber das war dann doch nicht ganz mein Ding, also habe ich umgeschwenkt auf Kulturmanagement. Über ein Praktikum bin ich dann an die Kölner Oper gekommen.

hauspost: Sie haben also an der Kölner Oper gearbeitet, in Kassel und zuletzt in Thüringen. Wie hat es Sie denn in den Norden nach Schwerin verschlagen?

Lars Tietje: Meine Frau und ich haben beide Wurzeln im Norden und eine große Affinität hierher. Schwerin war für mich schon lange ein geheimer Wunsch, weil die Stadt eine tolle Größe hat und das Theater einfach das verkörperte, was ich mir für mich vorstellen konnte. Ich habe also schon eine ganze Weile beobachtet, ob eine passende Stelle frei wird. Dann habe ich mich ganz bewusst hier beworben und so hat es schließlich geklappt.

hauspost: Sie sind ja in einer etwas schwierigen Zeit ans Theater gekommen, in der es viele Umstrukturierungen und Diskussionen gab. Haben Sie damit gerechnet?

Lars Tietje: Dass es gerade in Schwerin eine große Theaterdiskussion gab, war mir klar und hat mich schon ein wenig hadern lassen. Zu dem Zeitpunkt, als es dann aber um die Bewerbung ging, war die Situation schon etwas klarer und ich konnte ahnen, in welche Richtung die Reise geht.

hauspost: Gab es trotzdem Hürden, mit denen sie nicht gerechnet haben?

Lars Tietje: Klar, es gab viele Hürden und es wird auch noch viele weitere geben. Genau das sehe ich aber als meine Aufgabe, so etwas gehört zum Job. Ich betrachte es als meine Herausforderung, Brücken zu bauen zwischen den Menschen hier am Theater und der Politik. Ich versuche, den Mitarbeitern ehrlich zu sagen, wie die Situation aussieht, und sage gleichzeitig der Stadt, was es braucht, um das Theater auf einen guten Stand zu bringen und zu halten. Ich finde es allerdings kontraproduktiv, so etwas in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Die Leute sollen mit dem Theater schließlich schöne Erlebnisse verbinden und gerne herkommen.

hauspost: Was hat sich denn seit Ihrem Amtsantritt am Theater verändert und welche Veränderungen sehen Sie in der Zukunft?

Lars Tietje: Wir wollen und brauchen Vielfalt. Natürlich habe ich dafür am Anfang an bestimmten Stellen ein paar Brüche machen und auch einige Arbeitsverträge nicht verlängern müssen. Das war zwar umstritten, aber aus meiner Sicht notwendig. Im Großen und Ganzen baue ich auf vorhandenen Strukturen auf. Ich habe meine Ziele vor Augen und sehe, wo ich hin will. Die größte Herausforderung wird es sein, die Strukturen hinter der Kunst zu schaffen. Das Theatergebäude in Parchim ist beispielsweise so eine Aufgabe. Hier in Schwerin ist der Brandschutz im E-Werk ein wichtiges Thema. Auch finanziell müssen wir uns anders aufstellen. All dem werde ich mich in den kommenden Jahren widmen müssen. Meine Hauptmaxime ist dabei aber die Qualität. Dafür müssen wir ein wenig Quantität aufgeben, natürlich ohne, dass das Publikum es deutlich merkt. Es geht darum, eine Bandbreite zu schaffen, die jeden anspricht. Das zeigt sich schon in der aktuellen Spielzeit: Vom „Faust” bis hin zur „My Fair Lady” ist alles dabei.

hauspost: Wo sie gerade von Bandbreite sprechen. Haben Sie denn ein Lieblingsstück?

Lars Tietje: Das werde ich oft gefragt. Nein, das Lieblingsprojekt ist fast immer das aktuelle. Gerade bereiten wir die Premiere von „Das Leben des Galilei” vor und ich freue mich wahnsinnig darauf. Das wird ein Hammer, so etwas hat Schwerin vielleicht noch nicht gesehen. So begeistert bin ich aber auch von vielen anderen Projekten. Deshalb habe ich es mir auch einmal gegönnt, bei der 9. Sinfonie selbst im Chor mitzusingen. Das bleibt aber wohl eine Ausnahme.

hauspost: Und wie stehen Sie zum Streitthema Schlossfestspiele auf dem Alten Garten?

Lars Tietje: Ehrlich gesagt sehe ich keine Alternative, die touristisch und finanziell so gut geeignet wäre. Touristisch gesehen ist der Alte Garten optimal zu vermarkten. Logistisch hat er zudem den entscheidenden Vorteil, dass das Theatergebäude nebenan ist, denn es wird während der Schlossfestspiele voll als backstage-Bereich genutzt.

hauspost: Wäre die Wiese hinter dem Marstall nicht eine geeignete Fläche für die Festspiele?

Lars Tietje: Dieser Ort ist zweifellos sehr schön mit einem wunderbaren Blick auf das Schloss, aber zu allererst würden wir dort wohl Probleme mit dem Naturschutz bekommen. Wir haben dort eine der wenigen freien und unberührten Uferverläufe am Schweriner See im Stadtgebiet. Und wer die Wiese kennt, weiß, dass der Boden dort schwimmt, sobald es einmal geregnet hat. Das wäre definitiv kein Untergrund für die Konstruktionen die wir dort aufstellen müssten. Man könnte den Boden natürlich befestigen, aber das wird teuer. Hinzu kommt, dass wir dort natürlich ein Containerdorf aufstellen müssten, aber wo? Meine Aufgabe wird es deshalb erst einmal sein, die Nutzung des Alten Gartens zu optimieren. Ich muss mir die Frage stellen, wie können wir ihn kürzer nutzen beim selben Einspielergebnis?

hauspost: Sehen Sie selbst das Mecklenburgische Staatstheater als ein Theater zum Anfassen und Mitmachen?

Lars Tietje: Ich habe durch Verschiebung in dieser Spielzeit die Stelle „Theaterpädagogik und Partizipation” geschaffen. Die Partizipation, also das Einbeziehen, ist mir grundsätzlich sehr wichtig. Theater ist schließlich eine sehr konfrontative Kunst. Das entspricht immer weniger der heutigen Gesellschaft. Menschen wollen teilhaben und mitmachen. Das wird ja schon seit Jahren mit der Singakademie und den Statisten gepflegt, aber wir möchten das gerne weiter ausbauen. Wir haben beispielsweise das Angebot an Spielclubs deutlich erweitert, in denen sich jeder als Schauspieler versuchen kann. Die Menschen sollen das Staatstheater als IHR Theater betrachten, denn schließlich zahlen sie ja schon mit ihren Steuergeldern dafür.

hauspost: Vielen Dank für das Gespräch.


nr
Fotos: maxpress