Demokratie darf auch ausgrenzen!
Interview mit Dr. Daniel Trepsdorf
Schwerin • Ob als Mediator, in Projekten mit jungen Erwachsenen oder in der Zusammenarbeit mit Schulen, Kindergärten, Verwaltungen oder Verbänden – demokratische Prozesse spielen für den 47-Jährigen die Hauptrolle für eine funktionierende Gesellschaft. Mit der hauspost sprach Dr. Daniel Trepsdorf über die aktuelle Definition, über Lernprozesse für die Gemeinschaft, aber auch über den Missbrauch des Demokratiebegriffs.
hauspost : Was ist Demokratie heute oder was sollte Demokratie im besten Fall sein?
Dr. Daniel Trepsdorf: Es gibt da den Vater der Demokratiepädagogik: John Dewey. Er sagte einmal: „Demokratie ist vor allem eine Sphäre gemeinsam geteilter Erfahrungen“. Und das ist es eigentlich – es ist eine Form, die eigenen Bedürfnisse zu artikulieren, Selbstwirksamkeit zu erfahren und auch die Gesellschaft als Echoraum nutzen zu können. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als ohne Rückmeldung zu sein, wenn man ein Bedürfnis hat. Gemeinsam geteilte Erfahrungen in einem Kontext, in dem ich gehört werde, Anerkennung und Respekt finde – das ist Demokratie.
hauspost : Also ist Selbstwirksamkeit der Dreh- und Angelpunkt? Und wenn die nicht verspürt wird, entwickeln sich undemokratische Haltungen?
Dr. Daniel Trepsdorf: Natürlich führen eine ganze Menge Ursachen dazu, aber wer sich nicht gehört fühlt, entwickelt Frustration und steigt aus. Derjenige ist dann nicht mehr daran interessiert, die Meinungen oder auch die Wirklichkeitswahrnehmung des anderen mit in die eigene Entscheidungsfindung einzubinden. Das ist für mich auch eine ganz einfache Definition von Extremismus. Eine demokratische Haltung ist genau das Gegenteil: Da möchte ich, dass mir das Leben der anderen etwas bedeutet, dass ich mich einmische, aber konstruktiv.
hauspost : Nehmen Sie unsere Gesellschaft in Schwerin oder auch in MV unterm Strich als demokratisch oder undemokratisch wahr?
Dr. Daniel Trepsdorf: Ich nehme die Gesellschaft noch als sehr demokratisch wahr. Natürlich gibt es eine Vielzahl an Konflikten, die es zu bewältigen gilt. Und es gibt jede Menge Zukunftsszenarien, auf die die Menschen eher mit Abneigung oder Vorurteilen blicken. Und was uns ein bisschen verloren gegangen zu sein scheint, ist so eine gemeinsame Geschichte, ein gemeinsames Projekt. Untereinander und auch in den Medien strecken wir eher die Waffen und sagen: Ach, wie wollen wir bloß mit diesen ganzen Herausforderungen klarkommen? Da setzen dann Einzelinteressen ein, meiner Meinung nach insbesondere vor dem Hintergrund der europäischen Situation. Wir haben ja nicht nur Kommunalwahlen im Juni, sondern auch Europawahlen. Ich finde, dass sich die Menschen sehr viel mehr dafür interessieren sollten, wie wir in den Regionen das große Haus Europa konstruktiv weiterentwickeln können. Ich glaube, dass wir Instrumente und Methoden haben, um künftige Herausforderungen zu bewältigen. Die Frage ist, wie wir wieder einen Zugang dazu finden können.
hauspost : Wird der Demokratiebegriff heute in mancherlei Hinsicht missbraucht?
Dr. Daniel Trepsdorf: Auf jeden Fall. Insbesondere wenn wir davon ausgehen, dass gute demokratische Entscheidungen nur getroffen werden, wenn Menschen nicht mit Angst agieren. Ich habe das Gefühl, dass von Populistinnen und Populisten heutzutage so ein Drohszenario aufgebaut wird. Und Angst ist kein guter Ratgeber, sagt ja schon der Volksmund. Wichtig bei einer Entscheidung wäre immer zu fragen: Schränke ich die Handlungsmöglichkeiten meines Gegenübers oder der Gesellschaft dadurch ein oder erweitere ich sie. Nur letztere wäre eine demokratische Entscheidung.
hauspost: Wie lassen sich Menschen denn mehr dazu motivieren, sich mit demokratischen Prozessen auseinanderzusetzen?
Dr. Daniel Trepsdorf: Insbesondere dadurch, dass man sie beizeiten schon heranführt. Klar ist es umfangreich, verschiedene Parteiprogramme durchzugehen, aber wenn ich es gewöhnt bin und merke, dass es eine sehr große Freude ist, sich souverän in einer demokratischen Gesellschaft zu bewegen, dann ist das natürlich ein großer Motivationsfaktor. Wir brauchen ein paar Fertigkeiten dafür, die sollten wir früh vermitteln. Oder wie Oskar Negt gesagt hat: „Demokratie ist die einzige Gesellschaftsform, die man erlernen muss, damit wir uns in wechselseitiger Resonanz in dieser bewegen.“ Und da fangen wir am besten schon in der Kita und Schule an.
hauspost : Darf Demokratie ausgrenzen?
Dr. Daniel Trepsdorf: Ja – auch wenn es erstmal hart klingt. Toleranz ist eine gute Sache und es ist wichtig, dass ich anderen mit Respekt begegne, ihnen Selbstwert und die Steigerung des Selbstwertgefühls zubillige. Aber es sollte keine Toleranz geben gegenüber den Intoleranten!
mxpress/Janine Pleger