Musiker, Dezernent und Präsident in Schwerin

Andreas Ruhl hat als ehemaliger Sozialdezernent Vieles auf den Weg gebracht

Andreas Ruhl spielt Gitarre, sprach im Vatikan über die Flüchtlingskrise, ist Präsident des FC Mecklenburg und schaut als ehemaliger Sozial- und Sportdezernent auf Schwerin, Fotos: maxpress
Andreas Ruhl spielt Gitarre, sprach im Vatikan über die Flüchtlingskrise, ist Präsident des FC Mecklenburg und schaut als ehemaliger Sozial- und Sportdezernent auf Schwerin, Fotos: maxpress

Schwerin • Andreas Ruhl spielt leidenschaftlich gern Gitarre, sprach im Vatikan über die Flüchtlingskrise, will als Präsident des FC Mecklenburg doch noch die Fußballvereine zusammenführen und schaut vor allem als ehemaliger Sozial- und Sportdezernent auf Schwerin.

Andreas Ruhl hat mit und unter allen Oberbürgermeistern in Schwerin nach der Wende gearbeitet. Er hat viel eingebracht, gelernt und zum Schluss als Dezernent für Soziales und Sport auf den Weg gebracht. Zur Ruhe setzt er sich nicht. Ehrenamtlich engagiert er sich im Sozialen und im Sport weiterhin. hauspost-Redaktionsleiterin Marie-Luisa Lembcke hat nachgefragt.

hauspost: Wie sozial ist Schwerin aufgestellt?
Andreas Ruhl: Es gibt keine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, die so hohe soziale Probleme hat, was Kinderarmut, Hilfen zur Erziehung, Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit anbelangt. Der soziale Problemdruck in Schwerin ist extrem hoch. Wir haben es bisher geschafft, weil wir ganz engagierte Verwaltungsleute und tolle, kreative soziale Träger haben. Das ist außergewöhnlich. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, was in Schwerin in einer Krise möglich ist. Dann geht alles. Schwerin kriegt das hin. Weil wir gute Leute haben.

hauspost: In welcher Krise hat sich das besonders gut gezeigt?
Andreas Ruhl: Ganz klar in der ersten Flüchtlingswelle 2015. Schwerin hat damals die meisten Flüchtlinge in Mecklenburg- Vorpommern bekommen. Wir haben innerhalb von 48 Stunden alles vorbereitet – Notunterkünfte, Essen, Kleidung, Medikamente und ganz viel auf Zuruf organisiert, etwa die Herrichtung einer Schule. Das war beeindruckend. Nachdem wir die Mitteilung vom Innenministerium bekommen hatten, mit wie vielen Flüchtlingen wir rechnen müssen, haben wir uns mit dem DRK, der AWO, der Polizeiinspektion und der Sozialamtsleiterin in einer Telefonkonferenz zusammengesetzt und kurzerhand besprochen, was wir alles brauchen. Und dann hat das funktioniert. Vom Bundesinnenministerium wurden wir für unsere Flüchtlingsarbeit sogar mehrfach ausgezeichnet.

hauspost: Wurden Sie deshalb in den Vatikan eingeladen, um über die Arbeit hier vor Ort zu sprechen?
Andreas Ruhl: Ja und das kam sehr überraschend. Auf persönliche Einladung des Papstes und der Deutschen Botschaft am Heiligen Stuhl durfte ich eine Rede über die Herausforderungen in der Flüchtlingsarbeit halten – vor sehr vielen Kamerateams, live. Das war eine großartige Erfahrung.

hauspost: Zurück nach Schwerin. Immer wieder arbeitet die Stadt mit den freien Trägern zusammen. Kann die Kommune alleine das nicht schaffen?
Andreas Ruhl: Ganz klar: Nein. Die Kommune kann nicht leisten, was unsere Träger der freien Wohlfahrtspflege leisten. Dafür fehlt es der Stadt einfach an Knowhow, an Personal und an Erfahrung. Ohne die freien Träger hätten wir diese ganzen Krisen – Flüchtlingswelle, Corona und andere – nicht gemeistert. Insofern finde ich Kritik an freien Trägern extrem pauschal. Gerade wenn ich sehe, was wir im Bereich der Kinder- und Jugendsozialarbeit zusammen geschafft haben – ein neuer Kinder- und Jugendclub Ost63, Verdopplung der Mittel für die Jugendsozialarbeit – das wäre ohne freie Träger nicht möglich gewesen. Schwerin kann stolz auf seine freien Träger sein.

hauspost: Warum werden dann aber nicht alle Projekte so schnell und unkompliziert umgesetzt? Welches Problem hat Schwerin?
Andreas Ruhl: Schwerin hat leider ein strukturelles Problem. Wir haben keinen Speckgürtel, wie Rostock, wo die besser Verdienenden wohnen und Steuern zahlen. Wir haben Ortsteile am Rand, wie das Mueßer Holz, mit bis zu 60 Prozent Kinderarmutsquote. Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Kurzum: Wir haben eine problematische soziodemografische Struktur.

hauspost: Wie kann Schwerin dieses Problem meistern?
Andreas Ruhl: Um die Menschen aus dem sozialen Bedürftigkeits-Kreislauf rauszukriegen, gibt es zwei Schlüssel – Arbeit und Bildung. Das ist auch das, was in der Segregationsstudie von 2018, in der wir deutschlandweit fast überall auf dem ersten, zweiten oder dritten Platz stehen, rausgekommen ist. Wenn wir also diese Segregation verändern und ausgewogener wohnen wollen, müssen wir auf Arbeit und Bildung setzen. Aber das braucht einen langen Atem. Das heißt: Heute können wir nur Weichen stellen. Es gibt keine kurzfristigen Lösungen. Aus diesem Grund haben wir zum Beispiel den Campus am Turm ins Leben gerufen. Aber, wenn nicht ausreichend Geld in die Hand genommen wird, um die Infrastruktur zu verbessern, geht Schwerin den Bach runter.

hauspost: Können Sie das genauer erklären?
Andreas Ruhl: Stadtteilen wie Lankow und Mueßer Holz fehlt es an Infrastruktur. Dort haben wir sehr hohe Migrationsquoten. Wenn wir das ändern wollen, dann muss dort investiert werden. Wenn ich soziale Ungleichverteilung aufheben will, muss ich entweder die Leute da raus ziehen oder Infrastruktur hinbringen. Rausziehen wird nicht funktionieren. Der Umzug des Jobcenters auf den Dreesch wäre eine große Chance. Wir wollten das Jobcenter dahinbringen, wo die Bedürftigen leben. Beim Jobcenter reden wir von mehr als 500 Arbeitsplätzen. Nun wird es aber leider mindestens drei Jahre Verzögerung geben. Über diese Entscheidung war ich wirklich erschrocken.

Steckbrief Andreas Ruhl

Bis Januar 2023 war er Mitglied der SPD, nun parteilos und weiterhin engagiert. Geboren wurde er in Hamm im Ruhrgebiet. Er studierte Verwaltungsrecht, Betriebswirtschaft und Musik. Durch ein Praktikum beim Presseamt der Stadt Schwerin kam er 1993 in die Stadtverwaltung. Kurze Zeit später wurde er Leiter des Oberbürgermeister-Büros von Johannes Kwaschik (SPD). Unter OB Norbert Claussen (CDU) übernahm er den Bereich Zentrale Steuerung und anschließend bei Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow (Die Linke) die Leitung der Finanzverwaltung. An der Seite von Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) arbeitete er als Dezernent für Jugend, Soziales, Sport und Gesundheit sowie als stellvertretender Oberbürgermeister


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: Wie sieht es denn mit dem politischen Konsens in Schwerin aus?
Andreas Ruhl: Ich finde auf kommunaler Ebene ist Parteipolitik nicht so wichtig – das habe ich immer wieder gemerkt. Das große Schulbau-Programm habe ich zum Beispiel gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow vorbereitet. Wir haben viele tolle neue Schulen gebaut und Berufsschulen saniert. Ich habe mir als zuständiger Dezernent manchmal schon gewünscht, dass ein bisschen weniger Parteipolitik eine Rolle spielt, aber grundsätzlich kann ich sagen: Wenn es irgendwo wirklich eng geworden ist, habe ich immer Unterstützung von allen Vertretern aus der Stadtvertretung erhalten. So haben wir zum Beispiel auch die Interessengemeinschaft „Sportstadt Schwerin“ auf die Beine stellen können.

hauspost: Wie kam es dazu?
Andreas Ruhl: Im Vorfeld wurde viel diskutiert, dass der Leistungssport eigentlich das Aushängeschild für die Stadt ist. Mit „Sportstadt Schwerin“ wurde das auf ein anderes Niveau gehoben, indem man gesagt hat, Breitesportvereine mit den Leistungsentwicklungen darin sind genauso wichtig. Mit der Interessengemeinschaft ist es gelungen, überhaupt das Problem der Sportvereine deutlich zu machen. Denn sowohl die Spitzensportvereine als auch die Breitensportvereine haben alle massive finanzielle Probleme. Als wir die IG gegründet haben, waren viele aufgrund von Corona kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Wenn wir den Anspruch haben, „Sportstadt“ zu sein – womit ja gerne geworben wird – dann müssen wir unsere Vereine aber auch in die Lage versetzen, sowohl Breiten- als auch Spitzensport überhaupt anzubieten. Wenn wir mit anderen großen Städten mithalten wollen, müssen wir, meines Erachtens nach, noch mehr Geld in die Hand nehmen. Außerdem ist jede Art von Sport auch Jugendarbeit. Wir holen die Kinder von der Straße, wir strukturieren ihren Tag. Wir geben ihnen die Möglichkeit, Erfolgserlebnisse zu haben, die Welt zu sehen und sich weiterzuentwickeln. Vor dem Hintergrund ist jeder Euro, der investiert wird, gut investiert.

hauspost: Früher standen Sie im Tor beim FC Eintracht. Heute sind Sie Präsident des FC Mecklenburg. War das vorherbestimmt?
Andreas Ruhl: Das weiß ich nicht. Es ist sehr schade, dass wir hier fünf, sechs, sieben Fußballvereine haben und als Landeshauptstadt im Herrenbereich nur in der Oberliga spielen. Schwerin muss es in die Regionalliga schaffen. Aber es ist sehr schwer, die Vereine und vor allem die Fans der jeweiligen Vereine zusammen zu kriegen. Das habe ich mir leichter vorgestellt. Der FCM zählt aktuell 700 Mitglieder. Wir haben eine ausgezeichnete Nachwuchsabteilung mit 500 aktiven Kindern, das gibt es in der ganzen Region nicht. Und wir haben viele tolle Kooperationen. Aber ich würde mir wünschen, auch mit anderen Vereinen zusammenzuarbeiten – auf Augenhöhe. Meine Tür steht dafür immer offen.

hauspost: Wie sieht es mit den Sportstätten in Schwerin aus?
Andreas Ruhl: Wir brauchen ein Handballzentrum, ein Radsportzentrum und weitere hochwertige Fußballplätze – keine Frage! Nach Corona haben alle Vereine in Schwerin wieder deutlichen Zulauf. Sie wachsen zwar, aber die Infrastruktur wächst nicht mit. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Außerdem: Wenn wir es nicht schaffen, mehr Leistungskader nach Schwerin zu holen, gefährden wir auch unser Sport-Gymnasium. Das wäre fatal für unsere Sportstadt.

hauspost: Ein weiteres Ehrenamt betrifft den Boxsport in Schwerin. Sie betreuen das Projekt „Willkommen im Sport“. Was hat es damit auf sich?
Andreas Ruhl: Wir haben ein Netzwerk gegründet mit den renommiertesten Boxclubs Norddeutschlands – mit Berlin, Brandenburg, Hamburg und Schwerin natürlich. Wir wollen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zum Sport bringen – machen Schnupperkurse, Qualifizierungsmaßnahmen, laden Kinder aus diesen Städten ein, diese absoluten Vorbilder mal zu treffen und kennen zu lernen. Das macht großen Spaß. Und seit Kurzem machen wir das eben, mit dem Deutschen Boxsportverband, auch überregional. Insofern bin ich auch total begeistert Anfang Dezember mit den Schweriner Boxern und Henry Maske die 100. Deutsche Boxmeisterschaft in Schwerin mit auszurichten.

hauspost: Damit nicht genug, Sie sind seit acht Jahren und auch weiterhin Vorsitzender der Bürgerstiftung, oder?
Andreas Ruhl: Ja, auch eine Herzensangelegenheit. Hier schaffen wir es, durch die Überschüsse der BUGA 2009 soziale Projekte zu fördern – sei es ein Kochkurs, eine Bootsfahrt, ein Zaun für unser Kinder- und Jugendzentrum und ähnliches. Das ist sehr wichtig!

hauspost: Jetzt haben wir es nicht geschafft über Musik zu sprechen. Das wäre auch ein langes Thema. Sie spielen Gitarre, machen Jazzrock unter anderem mit Rilke-Texten, spielen jede Menge Instrumente im eigenen Studio...
Andreas Ruhl: Darüber können wir ja zum Benefizkonzert reden. Das ist für 2024 gerade in Vorbereitung. Ich lade Sie gern dazu ein.

Marie-Luisa Lembcke

Pardon, dürfen wir das noch fragen?

hauspost: Wen würden Sie mit ihrer Gitarre am Zippendorfer Strand bei loderndem Lagerfeuer empfangen?
Andreas Ruhl: Oh, eine schwierige Frage. Da gibt es einige Wegbegleiter, die ich nicht alle nennen kann. Eine davon ist Regina Dorfmann, die ich sehr schätze. Aber, mal ganz groß gedacht, dann wäre es bestimmt Peter Gabriel von Genesis. Ein großartiger Musiker, der mich musikalisch sehr inspiriert hat.

hauspost: Was verbindet Sie mit der hauspost?
Andreas Ruhl: Ich war an der Idee und Entstehung vor 26 Jahren selbst beteiligt. An den ersten Ausgaben habe ich sogar mitschreiben dürfen. Das hat großen Spaß gemacht und ich lese das Magazin heute noch sehr gern.